LERNE DIE SCHWEDISCHE PARALYMPICS-REITERIN

LOUISE ETZNER JAKOBSSON

Ihr Weg vom Überleben eines lebensbedrohlichen Unfalls bis hin zur Weltelite des Reitsports

Vor etwa zehn Jahren änderte sich Louises Leben schlagartig, als sie bei einem Unfall im Stall fast ums Leben kam. Louise überlebte drei schwere Hirnblutungen und einen Schädelbruch. Nun nimmt sie an großen internationalen Dressurturnieren teil und gewann eine Silbermedaille bei den Paralympics. Um diese herausragenden Leistungen zu vollbringen, musste Louise ihr Leben völlig umkrempeln.

Als Louise drei Jahre alt war, saß sie zum ersten Mal auf einem Pferd. Das war im Sattel hinter ihrem Vater, in der Stadt Eskilstuna in Schweden, wo sie aufwuchs. Später, als sie etwa neun Jahre alt war, nahm Louise Unterricht im Reitverein von Eskilstuna und fuhr im Sommer mit ihrer besten Freundin auf Reitferien auf die Insel Gotland.

– Es ist schwer zu sagen, was mich am Reiten so fasziniert hat. Ich bin einfach immer mehr und mehr geritten. Im Sommer war ich auf Reitferien und war immer von Pferden umgeben. Mein ganzes Leben drehte sich praktisch darum.  

Es war jedoch nicht selbstverständlich, dass Louise Dressurreiterin wurde, denn am Anfang ihrer Karriere ritt sie gerne sowohl Dressur als auch Springen. Und mit 15 Jahren kaufte sie ein kleines Halbblut, mit dem sie auf Springturniere ging. Als ihr Interesse für Pferde noch weiter wuchs, ging Louise nach Deutschland, um für den Springreiter und Olympiamedaillengewinner Karsten Huck zu arbeiten. Zu dieser Zeit arbeitete Huck mit dem Dressurreiter Jürgen Koschel zusammen. Nach einiger Zeit auf dem Hof wechselte Louise zu Koschel, um für ihn zu arbeiten. Erst dann begann Louises Dressurkarriere so richtig.

Der Unfall 

Die Liebe zum Dressurreiten wurde nach der Zeit in Deutschland immer stärker und Louise arbeitete auch als Dressurtrainerin in Schweden, bevor der Unfall passierte, der ihr ganzes Leben verändern sollte. Eines Tages im Jahr 2011, in ihrem Stall in Gotland, brachten Louise und ihre Tochter die Pferde von der Koppel in den Stall. Louise wollte gerade das letzte Pferd in den Stall führen – eigentlich auch das bravste Pferd im Stall – als es sich erschreckte und ihr auf die Füße trat.

– Ich konnte mich nicht mehr bewegen und versuchte, sie von mir runterzukriegen. Und als sie dann sich nochmal erschreckte und wegsprang, riss sie mich mit. Ich befand mich zwischen den Vorderbeinen des Pferdes und als es über mich hinwegsprang, fiel ich hilflos nach hinten, landete auf dem Rücken und schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden.

Louises letzte Erinnerung, bevor sie für ein paar Minuten bewusstlos wird, ist die Farbe der Äste. Zuerst sind sie Grün und in der nächsten Minute ändert sich die Farbe. Sie sind nicht mehr Grün, sondern Braun und Gelb. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie nicht mehr sprechen oder ihre Arme bewegen.

– Meine Tochter, die dabei gewesen war, dachte, dass ich tot sei. Aber ich erinnere mich an das alles nicht mehr.

Dies war im August, als auf Gotland ein großes Volksfest, die sogenannte Mittelalterwoche, stattfand und viele Menschen die Insel besuchten. Als Louises Tochter einen Krankenwagen rief, war jedoch keiner verfügbar und der Rettungshubschrauber befand sich auf dem Festland. Stattdessen kam der Rettungsdienst mit einem ausgemusterten Krankenwagen und Personal, das seinen Urlaub unterbrechen musste, um zu helfen.

– In diesem Moment war viel los, und als der Krankenwagen schließlich im Krankenhaus ankam, verlor ich völlig die Fassung. Ich hatte unfassbare Schmerzen.

Louise wurde im Krankenhaus zweimal geröntgt, bevor die Ärzte feststellen konnten, dass sie eine Schädelfraktur und drei Hirnblutungen hatte. Sie kann sich weder daran erinnern, dass ihr diese Informationen mitgeteilt wurden, noch daran, was die ersten Tage nach dem Unfall geschah. Alles war für sie wie in einem dichten Nebel.

Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt durfte Louise endlich wieder nach Hause gehen. Danach standen drei Monate Erholung und absolutes Nichtstun an und Louise verbrachte die meiste Zeit mit Schlafen, weil sie unglaubliche Müdigkeit verspürte.

Sie litt unter mentaler Erschöpfung und Licht und Geräusche waren unerträglich. Allein das Geräusch, wenn jemand mit dem Besteck über den Teller schabte, gab Louise das Gefühl, dass ihr Kopf explodieren würde.

– Mentale Erschöpfung lässt sich gut mit der Metapher eines Akkus beschreiben: Wenn der Akku leer ist, dann kann man einfach nichts mehr tun. Nichts geht mehr und dein Körper kann sich kaum noch rühren. Sobald du den Akku wieder aufgeladen hast, kannst du ein bisschen weitermachen. Aber nach einer kurzen Weile ist er wieder komplett leer. Die Energie ist wirklich nur sehr beschränkt.

Die ersten paar Monate waren schrecklich und Louise zählte die Tage, bis sie endlich wieder Reiten durfte. Denn auch wenn der Unfall im Stall passiert war, war dies der Ort, nach dem sie sich am meisten sehnte. Erste sechs Monate später, als die Reha losging, konnte Louise endlich wieder mit dem Reiten anfangen. Louise begann ganz langsam und mit einem ihrer älteren Pferde, das sie selbst eingeritten hatte. Ein liebes Pferd, das Louise ein Gefühl von Sicherheit gab.

– Am Anfang ritt ich an der Longe, meine Töchter longierten mich. Und zunächst durfte ich nur Schritt reiten, also war ich ein bisschen genervt von meinen Töchtern, sagt Louise mit einem Zwinkern. Am nächsten Tag ritt ich wieder an der Longe, aber wollte ein bisschen etwas Spannenderes machen. Meine Töchter sind fast vor Schreck gestorben, als ich angaloppierte. Aber ich habe beim Unfall meinen Gleichgewichtssinn nicht verloren, also war das kein Problem für mich, auch schneller zu reiten.

Der Weg zurück in den Sattel…

Von da an nahm Louises Alltag eine Wendung. Von einem beschäftigten Leben mit vielen Terminen hinzu einem Leben, bei dem viel Ruhe und Erholung das absolute A und O sind. Sie musste erstmal einen neuen Rhythmus finden, mit regelmäßigen Mahlzeiten und Ruhepausen am Nachmittag.

Während der Reha begann ein durchschnittlicher Tag mit Frühstück am Morgen, gefolgt von administrativen Tätigkeiten wie Mails checken und so weiter. Louise vermeidet es jedoch nach dem Unfall, zu lange vor dem Computer zu sitzen, weil dies schnell zu mentaler Erschöpfung führt. Nachdem sie ihren Maileingang durchgearbeitet hat, geht sie in den Stall zum Ausmisten, Füttern und für andere Aufgaben, die im Stall anstehen. Dann reitet sie das erste Pferd des Tages. Danach stehen auch schon eine Mittagspause und Nachmittagsruhe an. Nachdem sie sich ausgeruht hat, geht es für sie wieder in den Stall, um das zweite Pferd des Tages zu reiten.

– Ich arbeite noch immer als Trainerin, aber nicht im gleichen Ausmaß wie zuvor. Aufgrund der mentalen Erschöpfung kann ich leider nicht mehr so viel Unterricht geben. Aber wenn man tolle und motiviere Reitschülerinnen und -schüler hat, die sich richtig anstrengen, dann möchte man sich natürlich auch für sie einsetzten.

Sich nach einem so schweren Unfall wieder in den Sattel zu setzen, ist keine Selbstverständlichkeit.  Trotzdem war Louise fest entschlossen, sich vollständig zu erholen und weiterzumachen.

– Man darf nicht aufgeben. Es wird zwar hart, aber nicht unmöglich. Das Unmögliche ist einfach nur schwerer. Du musst einfach bereit sein, die nötige Arbeit reinzustecken.

…und an die Weltspitze

Und man kann schwer übersehen, welche grandiosen Erfolge Louise seit ihrem Unfall hatte: Ihre Teilnahme an einer Weltmeisterschaft, drei Europameisterschaften und den Paralympischen Spielen in Tokio 2021 – wo sie eine Silbermedaille gewann. Aber diese Reise war eine echte Herausforderung und Louise ist auf dem Weg dorthin auf einige Hindernisse gestoßen.

Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Paralympics in Tokio auf das folgende Jahr verlegt. Leider verlor Louise zu diesem Zeitpunkt auch das Pferd, das sie damals ritt, da der Besitzer beschloss, den Vertrag zu kündigen und das Pferd in den Ruhestand zu schicken. Zernard, so der Name des Pferdes, war sieben Jahre lang Louises Turnierbegleiter gewesen und auch das Pferd, mit dem sie sich für die Spiele qualifiziert hatte – was Louise in eine schwierige Lage brachte. 

– Ich befand mich einige Monate lang in einer Art Vakuum und wusste nicht, was ich tun sollte.

Ein paar Monate später fand ein Freund von Louise ein neues Pferd und kaufte es für sie. Goldstrike B.J. (Goldie) war ein tolles Pferd mit drei soliden Gangarten. Es gab nichts an ihm auszusetzen und er hatte viel Energie! Goldie ist ein glückliches, positives Pferd, doch auch sehr sensibel. Die meiste Zeit ist er ein ruhiges Pferd, aber wenn er Angst hat, dann richtig.

Es gab viel zu tun mit einem brandneuen Pferd, das nicht für die Paralympics qualifiziert war. Das erste internationale Turnier in Mannheim verlief nicht wie geplant. So wurde ein Turnier in den Niederlanden zur letzten Chance, sich zu qualifizieren. Am zweiten Turniertag gelang es Goldie und Louise, die Richter zu überzeugen und sie erreichten eine Wertung von 72 % – was dem Team einen Platz auf der Startliste für die Paralympics 2021 sicherte!

…Bis das nächste Hindernis auftauchte. Nur wenige Monate vor den Paralympics in Tokio brach sich Louise ein Bein. Sie wollte gerade von ihrem Fahrrad absteigen, als sie plötzlich stolperte und vom Fahrradrahmen getroffen wurde.

– Ich spürte sofort, dass etwas gebrochen war. Aber ich wusste nicht, ob es ein Knochen oder etwas anderes war, das beschädigt worden war.

Später im Krankenhaus wurde ihr mitgeteilt, dass es sich sowohl um Weichteile als auch um Knochen handelte, die verletzt wurden. Es handelte sich um einen komplizierten Bruch, der eine Operation unter Narkose und das Einsetzen von Schrauben in das Bein erforderte. Da Louise schon einmal einen Knochenbruch erlitten hatte, wusste sie, dass er in etwa sechs Wochen verheilt sein würde – genug Zeit also, um an den Paralympics teilzunehmen. Sie brauchte nur sofort einen Termin für die Operation! Nachdem sie den Arzt überredet hatte, konnte die Operation zwei Monate vor den Paralympics durchgeführt werden.

– Der Orthopäde versuchte zwar, Nein zu sagen. Aber irgendwann gab er auf. Ich habe ihm gesagt, dass ich zwei Jahre lang für dieses Turnier trainiert habe und dass ich ein Nein nicht akzeptieren würde.

Um ein Haar hätte es nicht geklappt, doch ich konnte ihn überzeugen! Eine Woche vor den Paralympics ritt Louise zum ersten Mal nach ihrer Operation. Ihre Tochter trainierte Goldie in der Zeit vor dem Turnier, wodurch Louise Energie sparen konnte. Als sie in Tokio ankamen, war es für Louise an der Zeit, wieder in den Sattel zu steigen – und sie tat es mit hervorragenden Ergebnissen. Ihr und Goldies Ritt brachten ihnen einen paralympische Silbermedaille!

– Diese Medaille ist eigentlich eine Teammedaille, da meine ganze Familie mir so unheimlich viel geholfen hat. Ohne die Hilfe meiner Töchter mit Goldie oder meines Mannes, der mich zu Turnieren fährt, wäre ich nie so weit gekommen. Die mentale Unterstützung, die sie mir bieten, bedeutet mir unglaublich viel. Und auch, dass sie meine Sturheit ertragen haben, und dass sie mir geholfen haben, ich im Rollstuhl saß und Krücken brauchte… Das bedeutet mir wirklich die Welt.

Blick in die Zukunft 

Louise plant für die Zukunft die Teilnahme an mehreren internationalen Turnieren, darunter im Scandinavium in Göteborg und bei Blue Horse in Dänemark, um nur einige zu nennen. Die großen Ziele sind die Weltmeisterschaft in Dänemark im Jahr 2022 und Paralympics in Paris im Jahr 2024.

– Obwohl ich älter werde, entwickle ich mich immer weiter und werde besser. Ich fühle mich energiegeladener und lerne auch immer besser mit meiner mentalen Erschöpfung umzugehen. Mittlerweile weiß ich, wie ich meine Tage organisieren muss.